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Die Steinbilder des Tell Halaf-Museums – Rettung einer Sammlung

Von den folgenschwersten Luftangriffen auf Berlin im November 1943 waren auch die Ausstellungshalle des Tell Halaf-Museums und das Direktorialgebäude betroffen. In dem durch eine Phosphorbombe ausgelösten Feuer gingen alle Exponate aus Kalkstein, viele Kleinfunde sowie die monumentalen Gipsrekonstruktionen und Teile der islamischen Sammlung verloren, während die Basaltskulpturen schwer geschädigt wurden.

Bild: Überreste der Bildwerke nach der Brandkatastrophe im Keller des Pergamonmuseums, nach 1944

Geborgen und doch verloren?

Max von Oppenheim, wenige Monate zuvor privat ausgebombt und nach Dresden geflohen, beauftragte seinen damaligen Generalbevollmächtigten in Berlin, Helmuth Scheel, mit der Rettung der Überreste. Obwohl bis August 1944 neun Treckerladungen mit Basaltfragmenten in die Keller des Pergamonmuseums gebracht werden konnten, galt die Tell Halaf-Sammlung aufgrund der Zersplitterung bald auch in Fachkreisen als unwiederbringlich verloren.

Bis zur deutschen Wiedervereinigung von den Staatlichen Museen in Ostberlin als Fremdbesitz verwaltet, fanden Anfang der 1990er-Jahre erste Sondierungsgespräche mit der Eignerin der Trümmersammlung, der Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung statt.

Das ausgebrannte Museum, Berlin 1945

Anfang 1998 wurden die Überreste – 63 Paletten mit großformatigen Skulpturenfragmenten und Orthostaten, 38 Container mit kleinen Bruchstücken und 40 Kisten mit Kleinfunden und Scherben – der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als langfristige Leihgabe anvertraut mit der Auflage, diese zu restaurieren und wieder auszustellen. Nachdem die Finanzierung durch die Salomon Oppenheim-Stiftung, die Alfred Freiherr von Oppenheim-Stiftung, das Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie., die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sichergestellt war, konnte im Oktober 2001 das größte Restaurierungsprojekt des Vorderasiatischen Museums seit den 1920er-Jahren in Berlin-Friedrichshagen beginnen.

Die große Sortierhalle, Berlin 2003

Phönix aus der Asche

Vorschläge, die geborgenen Fragmente einzuscannen und von einem Sortierprogramm »auf Knopfdruck« bestimmen zu lassen, scheiterten an der fehlenden Soft- und Hardware. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, diese zu entwickeln, hätte die Materialaufnahme mutmaßlich Jahre gedauert; ob ein derartiges Verfahren zum Erfolg geführt hätte, schien daher mehr als fraglich. Statt am runden Tisch Expertisen und theoretische Lösungen zu erarbeiten oder eine virtuelle Rekonstruktion an den Anfang der praktischen Arbeiten zu stellen, vertrauten die Wissenschaftler auf ihre kognitiven Fähigkeiten: Über 27.000 Bruchstücke mussten gesichtet, sortiert und bestimmt werden. Grundlage für die anschließende Feinidentifizierung waren historische Schwarz-Weiß-Fotos, die die Steinbilder auf der Ausgrabung und im Museum zeigten. Da alle Skulpturen aus monolithischen Blöcken gemeißelt waren, die sich optisch durch ihre spezifischen Gesteinsmerkmale gut voneinander unterschieden, konnten in der Folgezeit auch nahezu alle Innenbruchstücke eindeutig zugewiesen werden.

Parallel zu den Identifizierungsarbeiten wurde nach einer Vorlaufzeit von nur drei Monaten im Februar 2002 mit der Restaurierung der ersten Skulptur begonnen. In der Sortierhalle provisorisch zusammengesetzt, mussten die Segmente wieder auseinandergenommen, die zusammengehörigen Teile neu markiert und die Bruchflächen sorgfältig für die Klebung mit Epoxidharz vorbereitet werden. Je größer die einzelnen Segmente wurden, desto schwieriger gestaltete sich die Montage der bis zu 2,20 Meter hohen, tonnenschweren Skulpturen.

Ein Teil der Bildwerke war bereits im Altertum vorsätzlich zerstört und darum nur unvollständig geborgen worden. War zu Projektbeginn noch davon auszugehen, dass sich ihre Wiederherstellung nur auf den gut dokumentierten Vorkriegszustand beschränken könne, ergaben sich bald neue Erkenntnisse. Diese betrafen nicht nur die damalige Zuweisung, sondern auch die Positionierung von Bruchstücken ohne Anschluss. Auch viele Relieffragmente, die während der Oppenheim-Grabungen aufgelesen, bei der Erstrestaurierung Ende der 1920er-Jahre jedoch nicht zugeordnet werden konnten, ließen sich erstmals einem Bildwerk zuweisen.

Ergebnisse

Obwohl kaum eine der Großplastiken in weniger als 1000 Fragmente zerborsten war, gelang es innerhalb von nur acht Jahren, mehr als 30 Bildwerke und über 80 Architektursteine und Steingeräte wieder zusammenzusetzen. Im Januar 2011 – 68 Jahre nach der Zerstörung des Tell Halaf-Museums, 65 Jahre nach dem Tod Max von Oppenheims – wurden die restaurierten Bildwerke erstmals wieder in einem Museum präsentiert. Mit 800.000 Besuchern war die Sonderausstellung »Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf« eine der erfolgreichsten Ausstellungen in der Geschichte der Staatlichen Museen zu Berlin. Nach Abschluss der Generalsanierung des Pergamonmuseums werden die heute magazinierten Bildwerke ihre endgültige Aufstellung auf der Berliner Museumsinsel finden.

Kopf einer monumentalen Götterfigur, Berlin 2005

Keinem Bildwerk war Max von Oppenheim so zugetan wie seiner »Thronenden Göttin«. Vollständig erhalten kam die Skulptur bei den Grabungen am Tell Halaf an einer Lehmziegelplattform im Süden der Zitadelle über einer Gruft stehend zum Vorschein. Besonders augenfällig ist die blockhafte Formgebung. Vor dem Hintergrund des Kubismus, einer neuen Kunstrichtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wirkte die Grabfigur seinerzeit außergewöhnlich modern.

Aus über 900 Fragmenten wieder zusammengesetzt, hat Oppenheims »Braut« trotz der unübersehbaren Kriegsnarben nichts von ihrem ursprünglichen Zauber verloren: »Die ›Thronende Göttin‹ […] zieht alle Blicke auf sich. Ihre fast plumpen, würfelförmigen Umrisse vergisst man beim ersten Blick auf den Oberkörper und in das Gesicht. Hoheitsvoll aufgerichtet, schaut dieses Wesen über den Betrachter hinweg. Das Antlitz ist breitflächig und doch dreieckig spitz zulaufend, wird beherrscht von einer lang-breiten und doch scharfgratigen Nase und gerahmt von dicken, frei bis auf die angedeuteten Brüste fallenden Schläfenlocken. Der Unterschied zur makellosen Schönheit der Nofretete ist größer kaum denkbar – und doch geht von diesem Bildwerk die gleiche Magie aus.« (Dieter Bartetzko, Wucht und Würde der Preziösen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.1.2011, S. 33.)