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Die Handschriftensammlung

Als europäischer Sammler islamischer Handschriften steht Max von Oppenheim in einer Tradition, die bis in das 17. Jahrhundert zurückreicht. Seitdem trugen Gelehrte, Reisende, Diplomaten und Kolonialbeamte Schätze der islamischen Literatur zusammen und legten damit den Grundstock für die heutigen Bestände islamischer Handschriften in zahlreichen privaten und öffentlichen Bibliotheken Europas.

Bild: Koran-Fragment im Maghribi-Duktus auf Pergament, 12. bis 14. Jh.

Vom Werden einer Wissenschaft

Während der Jahrzehnte, in denen Oppenheim im Orient lebte und sammelte, vollzog sich ein dramatischer medialer Wandel in der islamischen Welt. Als man dort Ende des 19. Jahrhunderts den Buchdruck einführte, war die bislang auf handschriftliche Anfertigung und Vervielfältigung basierende Gelehrten-, Wissens- und Buchkultur dem Untergang geweiht. Zudem fand in der nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches gegründeten türkischen Republik eine umwälzende Sprachreform statt. Sie zielte darauf ab, die Türkei Richtung Westen zu öffnen und sie von der als rückständig empfundenen osmanischen Schrifttradition zu befreien. Die arabische Schrift, mit der das Osmanisch-Türkische über Jahrhunderte hinweg geschrieben worden war, wurde per Verordnung durch das lateinische Alphabet ersetzt. Ferner begann man, möglichst viele Lehnwörter arabischen und persischen Ursprungs aus dem türkischen Wortschatz zu entfernen.

Diese Entwicklung führte im Orient zu einer Geringschätzung handgeschriebener Bücher, während auf europäischer Seite das Interesse von Forschern, Gelehrten und Sammlern beständig wuchs. Sie begannen, Handschriften in großem Stile zusammenzutragen, und legten mit diesen Quellen und Arbeitsmitteln das Fundament für die junge Wissenschaft der Arabistik. Gleichzeitig begriff man sich in Europa als Bewahrer und Retter der erlöschenden handgeschriebenen Buchtradition des Nahen Ostens.

Die Sammlung im Überblick

Die kleine, aber exquisite Handschriftensammlung Max von Oppenheims umfasst 189 Exemplare, die seit 1949 im Orientalischen Seminar der Universität zu Köln aufbewahrt werden. Den größten Teil der Sammlung machen 132 arabische Einzel- und zehn Sammelhandschriften (Hs. or. 1-217, Hss. ohne Signatur) aus, deren Entstehungszeit neun Jahrhunderte umfasst. Die älteste datierte Handschrift stammt aus dem Jahr 1024, die jüngste wurde 1925 angefertigt. Daneben finden sich Manuskripte in persischer, osmanisch-türkischer, koptischer, syrischer und äthiopischer Sprache. Sie sind bislang nicht publiziert worden. Im Verlauf der 1960er- und 1970er-Jahre erwarb die Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung weitere 170 arabische und persische Handschriften. Der Bestand an arabischen Einzel- und Sammelhandschriften beider Sammlungen ist in einem Katalog beschrieben.

Inhalt

Inhaltlich umspannen die Handschriften ein außerordentlich breites Themenfeld mit den Schwerpunkten Religion, Wissenschaft und Literatur. Zu den einzelnen Fachgebieten zählen Koranwissenschaft, Dogmatik, Hadithsammlungen (Sammlungen von Prophetentraditionen), Mystik, Recht, Philosophie, Ethik, Geographie, Medizin, Grammatik, Lexikographie, Rhetorik, schöne Literatur, Geschichte und christliche Literatur. Besonders bemerkenswert sind die schriftlichen Zeugnisse mit Bezug auf das damalige Zeitgeschehen. Als Beispiel sei ein Werk über den in Mesopotamien ansässigen Stammesverband der Milli genannt, der sich aus Berbern und Kurden zusammensetzte (Hs. or. 143). Im Mittelpunkt stehen die Auseinandersetzungen dreier Stammesoberhäupter mit den Arabern und der osmanischen beziehungsweise türkischen Regierung. Mit zwei von ihnen knüpfte Oppenheim während seiner Orientreisen freundschaftliche Bande. Die Milli waren es auch, die ihn auf die Ruinenstätte Tell Halaf aufmerksam machten. Eine anonyme handgeschriebene französische Übersetzung des Textes bewahrt das Hausarchiv des Bankhauses Sal. Oppenheim in Köln auf. Der überwiegende Teil der Oppenheim-Handschriften ist durch weitere Abschriften in anderen Bibliotheken belegt und liegt inzwischen zusätzlich in gedruckter Form vor.

Anfangsdoppelseite eines kleinformatigen Koran im Nashk-Duktus, 18./19. Jh.
Gedicht über die Vorzüge und das Vergnügen des Teetrinkens, undatiert

Einbände, Buchdekoration und Schriftträger

Hinsichtlich der äußerlichen Gestaltung ragt der Korpus arabischer Werke heraus. Die meisten Texte werden von dekorativen Einbänden umschlossen. Dabei handelt es sich typischerweise um den islamischen Ledereinband mit einem Mandelmotiv als Verzierungsornament auf den Deckelflächen. Häufig ist am Rückdeckel der Einbände ein Steg mit einer Klappe angebracht, den man zum Schutz des Buchblocks auf oder unter den Vorderdeckel legt und der gleichzeitig als Lesezeichen dient. In der Sammlung finden sich außerdem ein ganzflächig ornamentierter Ledereinband mit geometrischem Muster, zwei Lackeinbände, vier Halbledereinbände mit Deckelflächen aus Marmorpapier sowie Gewebeeinbände.

Ein beachtlicher Teil der Manuskripte ist mit malerischer Buchdekoration sowohl in schlichter als auch in aufwendiger Ausführung versehen. Die Buchkünstler richteten ihr Augenmerk besonders auf die Gestaltung der Überschriften, die Umrahmung der Schriftspiegel und die Verzierung der Titel-, Anfangs- und Schlussseiten. Die 55 Koranexemplare der Sammlung bieten einen anschaulichen Überblick über die unterschiedliche ornamentale und kalligraphische Gestaltung des Korans in der islamischen Buchkunst von den frühen Anfängen bis zur Osmanenzeit.

Als Schriftträger findet sich vorwiegend Papier, das seit dem 14. Jahrhundert zunehmend aus europäischer Produktion stammte. Aber auch Papyrus und Pergament, die in der islamischen Welt vor der Einführung des Papiers eine prominente Rolle im Dokumentenwesen und bei der Anfertigung handgeschriebener Kodizes spielten, sind mit einigen Beispielen in der Sammlung vertreten. Dazu zählen zwei verglaste Urkundenfragmente auf Papyrus und ein Band mit Pergamentfragmenten verschiedener Koranhandschriften, die zu den ältesten Koranexemplaren in Oppenheims Kollektion gehören. Aufgrund seiner kostspieligen Herstellung wurde Pergament zum Beschreiben wiederverwendet. Auch für ein solches Palimpsest genanntes Schriftstück findet sich in der Sammlung ein Beispiel. Das zweiblättrige Fragment einer christlich-apologetischen Schrift war ursprünglich mit einem koptischen Text beschrieben, dessen Schriftzeichen als Unterschrift noch erkennbar sind. Pergament wurde auch für Dokumente verwendet, wie eine Verkaufsurkunde aus dem koptischen Milieu in der ägyptischen Provinz Fayyum bezeugt.

Christlich-apologetische Schrift auf Pergament. Der ursprüngliche Text in christlich-palästinensischem Aramäisch scheint noch durch.
Abschrift eines Briefes von Muhammad al-Mahdi an den Gouverneur und Sufi- Bruder Mansur ibn Qadara, 1887/1888

Digitalisierung und neue Forschungsansätze

In jüngster Zeit haben die neuen Medien und weiterführende Forschungsansätze die Beschäftigung mit orientalischen Handschriften neu belebt. Derzeit werden große Anstrengungen unternommen, um die Bestände islamischer Handschriften in privaten und öffentlichen Bibliotheken vollständig zu erfassen und der Wissenschaft zugänglich zu machen. Dies geschieht vorwiegend in Form von Internet-Datenbanken, die einen weltweiten Zugriff auf die Handschriften und ihre digitale Präsentation ermöglichen. Überwiegende Teile der bereits katalogisierten und editierten Werke warten jedoch immer noch auf ihre inhaltliche Analyse und Erforschung. Dabei stellt man heute verstärkt die Biographie der einzelnen Handschriften in den Mittelpunkt. So findet vor allem das soziokulturelle Umfeld Beachtung, in dem eine Handschrift entstand und genutzt wurde. Auskunft darüber erteilen zum Beispiel Einträge und Vermerke von Schreibern, Auftraggebern, Besitzern, Lesern und Kommentatoren. Ferner werden materielle, ökonomische und künstlerische Aspekte untersucht, die bei der Anfertigung einer Handschrift von Belang sind. In diesen Gesamtzusammenhang aktueller Manuskriptforschung ist auch die kleine Sammlung orientalischer Manuskripte Max von Oppenheims eingebettet.